Neustadt am Main - Gestern und Heute
 
    
Bild 1
Ruh- bzw Erphenbrunnen
Der Erphenbrunnen [bzw. falsch genannt Ruhbrunnen], mit den angefügten Steintrögen.
   

Bild 2
Klostergrenze Neustadt
Die alte Grenze des Neustädter Klosterwalds führte nördlich vom Kloster hinauf zum Lachberg und lief dann, wie mit dem Lineal gezogen, weiter über den Margarethenhof und den Ruhbrunnen zum Neustädter Tor über eine Strecke von sieben Kilometern. [???]
   

Bild 3
Neustädter Kaiserselekt
Eine der frühesten erhaltenen Abschriften der Grenzbeschreibung, die beglaubigte Abschrift eines öffentlichen kaiserlichen Notars vom 22. März 1362, StAWürzburg, Kaiserselekt 827.
   

Bild 4
Ruhbrunnen im Winter
Besonders idyllisch ist der Ruhbrunnen im Winter. Sein Wasser rinnt weiter zwischen unzähligen, im Wald verstreuten Sandsteinblöcken, die der Volksmund »Blockmeer« nennt und »Dunkel« oder » Vielbächetal«, ehe es in den Rechtenbach fließt.
   

Bild 5
Raute am Ruhbrunnen
Das scharrierte Quadrat auf der Sandsteineinfassung der Brunnenstube harrt noch der Erklärung. [Das Zeichen ist auf keltisch: Fruchtbarkeit].
  Der Ruh [Erphen] - Brunnen - ein karolingischer Rastplatz? 

Erstellt am 19.06.2008, weitere Kommentare von mir am 27.11.2021


Ein Artikel von Dr. Wolfgang Vorwerk (genehmigt von Ihm), im Mai 2002, in der Zeitschrift Spessart
Meine Kommentare, fett in eckiger Klammer […], in Blau.



Der Ruhbrunnen ist im Lohrer Raum und wohl im gesamten Spessart die älteste urkundlich erwähnte Bachquelle in der freien Natur überhaupt. Als Erphenbrunnen muss er schon im 8. Jahrhundert im Ostspessart ein fester Begriff gewesen sein. In einer Grenzbeschreibung des Klosters Neustadt aus jener Zeit ist er, wie damals üblich, als ein Grenzpunkt des Klosterwalds aufgeführt worden.

[Die Neustadter Grenzbeschreibung ist aus dem Jahr 772, Quelle: Heinrich Wagner].

Möglicherweise hat schon Karl der Große, vom sagenumwobenen Rorinlacha bei Neustadt am Main aus auf den Spessarthöhen jagend, von seinem Wasser getrunken. Noch heute wird er von älteren Bewohnern aus umliegenden Dörfern wie im 8. Jahrhundert mundartlich »Arfe-Brunne«, also Erphenbrunnen, genannt. Aber auch »Arferuu« ist gebräuchlich. Kaum jemand weiß jedoch, dass sich hinter »Arferuu« das Wort »Erfenruh«, eine fast poetische Abwandlung des karolingischen Erphenbrunnens, verbirgt, und vor allem, was dieses »Arfe«/«Erfen« bedeuten mag. Der zweifelsfreien Entschlüsselung seines Namens entzieht sich der Erphenbrunnen allerdings auch dem Experten. Erphen waren möglicherweise die Angehörigen einer fränkischen Sippe, die auf einen »Erpho« zurückgehen.

[Erpho, sein Namensgeber, gehörte wie Megingaud, Hatto und Fastrade, die 4te Frau Karl des Großen, der fränkischen Sippe der Mattonen an].

Dieser Aufsatz soll zugleich ein Beitrag zur im April erfolgten Eröffnung des Kulturwanderwegs in Neustadt am Main sein, der ebenfalls in die Frühgeschichte des ehemaligen Benediktinerklosters Neustadt führt.

Der älteste urkundlich erwähnte Brunnen des Spessarts: ein sommerliches Idyll

Das Wasser des Brunnens ist glasklar und eiskalt. Lurche und kleine Frösche tummeln sich sommers an ihm. Gefasst ist er gleich nach Quellaustritt in einer Brunnenstube. Diese wurde vor kurzem von einer Lohrer Forschergruppe unter einer dicken Grasnarbe freigelegt (Schönmann in Lohrer Echo, 15. 3. 2002). Auffallend ist das zu Tage getretene scharrierte Quadrat auf der einen Seitenwand, das seiner Erklärung harrt (Bild 5).

[Das Zeichen bedeutete Fruchtbarkeit bei den Kelten].

Über eine steinerne Rinne fließt das Wasser kurz danach in zwei längliche, stufenartig aneinander gefügte Sandsteintröge (Bild 1) Ein dritter, beschädigter Steintrog wurde jetzt freigelegt. Rechts und links ergießt sich das übersprudelnde Quellwasser auf weichem Gras, später auf erdigem, sumpfigem Waldboden. Weiter unten am Berg verschwindet das Bächlein in felsigem Untergrund. Vor allem im Winter (Bild 4) und nach der Schneeschmelze findet das Wasser des Brunnens seinen Weg in die »Dunkel«, das »Vielbächetal«, wie wir es in unserer Familie oft genannt haben. Zwischen unzähligen Blocksteinen hindurch kehrt es zurück an die Oberfläche. Es fließt in den Rechtenbach.

Der Brunnen liegt keineswegs abgelegen, auch wenn er in jeder Jahreszeit wie der Inbegriff von Waldeseinsamkeit und Abgeschiedenheit erscheinen mag. Der Spessartwanderweg Margarethenhof - Neustädter Tor führt an ihm vorbei. Mehrere Waidstraßen laufen in seiner unmittelbaren Nähe zusammen. Herrliche Buchenbestände erstrecken sich von der kleinen Lichtung, die den Brunnen umgibt, über die Waldabteilungen Seufzig und Gemeindebuch bis zum Forsthaus Aurora: vor allem Jägern und Waldarbeitern begegnet der Wanderer hier oben. Ungefähr gleich weit von den Ortschaften Rechtenbach, Wombach, Rodenbach und Neustadt liegt er entfernt. Auch zum Forsthaus Aurora ist es nicht weit. Er liegt in fürstlichem Wald, an der Grenze zu Lohrer und Rodenbacher Gemarkung. Er hat verschiedene Namen in den umliegenden Dörfern und bei den Forstleuten.

[Der Erphenbrunnen grenzt nicht an die Lohrer Gemarkung an. Sondern an die ehemalige Rodenbacher Gemarkung. Rodenbach wurde 1972 von Lohr eingemeindet].

Der Ruhbrunnen als »Erphenbrunnen«; Teil der frühen Klostergeschichte Neustadt

Als Ruhbrunnen ist er heute in allen Karten zu finden (Bild 2). Seine erste namentliche Nennung als »Erphenbrunnen« ist eng mit der Gründung und der Beschreibung des Waldbesitzes des Klosters Neustadt im 8. Jahrhundert verbunden.

[Bei der ersten Landvermessung in Bayern im Jahre 1843 wurde er aus Unwissenheit in Ruhbrunnen umgetauft].

Ehe auf diese urkundlichen Texte eingegangen wird, sei kurz zu Klostergründung und Klosterwald zusammengefasst, was einigermaßen gesichert ist:
Aus der Jüngeren Vita S Burkardi wissen wir, dass »ein gewisser Hatto« dem Würzburger Bischof Megingaud nach Abdankung den Ort Rorinlacha geschenkt hat.

[Die Schenkung von Hatto an Megingaud war früher. Sie war um 738/739].

In Rorinlacha hat Megingaud später wohl um die Jahre 768/69 - das Kloster Neustadt gegründet.

[Anfang 769 zog sich Megingaud wieder nach Neustadt in ein vorhandenes Kloster zurück. Das erste Kloster mit Saalkirche im Tal, die Alte Statt, liegt unter dem heutigen Pfarrheim und wurde 1981/82 vom BLfD ausgegraben. Das neue Kloster an der Neuen Statt wurde 772 von Karl dem Großen gegründet und 781 eingeweiht].

Von einer Wald-Schenkung Hattos an Megingaud, die auch Erphenbrunnen und Erphenbuch beinhaltet, ist in der Vita nicht die Rede.
Wann und durch wen - etwa doch durch Hatto? - das neu gegründete Kloster Neustadt mit forstlichem Grundbesitz so reich ausgestattet wurde, ist nicht genau bestimmbar. Möglicherweise durch eine Schenkung um 780/781 im Zuge der Erhebung Neustadts zur Reichsabtei sogar direkt durch Karl den Großen. Über diese Privilegierung des Klosters als Reichsabtei muss es, so vermutet die Wissenschaft, eine Schutzurkunde Karls des Großen gegeben haben. Diese Urkunde muss auch die erste authentische Grenzbeschreibung des Klosterwaids enthalten haben, da mit dem neuen Reichsstatus vor allem auch unbedingt eine territoriale Absicherung des Klosterbesitzes durch unmittelbar geltendes Reichsrecht beabsichtigt gewesen sein musste. In dieser Urkunde muss der Ruhbrunnen als »Erphenbrunnen« das erste Mal genannt worden sein.

[Die Waldschenkung bzw. die Schenkung der Klostermark ist von Karl dem Großen aus dem Jahr 772. Quelle: Heinrich Wagner].


Überliefert sind Grenze und Brunnen allerdings erst in einem Text, der wohl zwischen 780/781 und 839 gefertigt wurde und aus Abschriften ab dem 13. Jahrhundert, vor allem aus der so genannten Stiftungsurkunde, bekannt ist. Die überlieferte, den Klosterwald beschreibende Urkunde aus dem 12. Jahrhundert ist zwar eine Fälschung, wie nachgewiesen wurde. Die darin enthaltene Grenzbeschreibung des Klosterwalds, damit auch der dort aufgeführte Name »Erphenbrunnen«, ist jedoch, ohne hier auf die komplizierte Beweisführung der Wissenschaft einzugehen, unbestritten echt. Diese - echte - Grenzbeschreibung aus den Jahren um 780/81 lag dem Fälscher vor. Er übernahm sie Wort für Wort (siehe den Exkurs zur Überlieferungsgeschichte im Anhang) In diesen verschiedenen Abschriften heißt es ohne nennenswerte sprachliche Unterschiede, der Klosterwald erstrecke sich vom Main über den Lachberg (bei Neustadt), dann zum »Erphenbrunnen«, durch den »Erphenbuch« selbst, dann zum »Benninbetti« (Neustädter Tor, siehe Karte Bild 2). Nach dieser Grenzbeschreibung erstreckt sich der Wald vom Neustädter Tor bis zum Breitsoll/Geiersberg im Hochspessart, wird im Süden sodann durch das Heinrichsbachtal begrenzt und reicht weiter über den Trauberg (Marienbrunn) bis Altfeld, welches damals im Besitz des Klosters Fulda war. Bei Triefenstein stößt der Grundbesitz wieder auf den Main als seine natürliche Ostgrenze.

[Ich empfehle allen einmal den 106-seitigen Artikel „Zur Neustadter Privilegienfrage“ von Heinrich Wagner intensiv zu lesen. Dann kann man die Aussagen von Wolfgang Vorwerk besser bewerten].

Der Erphenbrunnen: Teil der Nordgrenze des Neustädter Klosterwalds

Die Geschichte des Brunnens reicht demnach weit in die Zeit Karls des Großen zurück. Nach der erwähnten, wenn auch gefälschten Stiftungsurkunde hatte Karl der Große in Rorinlacha sogar eine Unterkunft - ein sog. »depositum« - für jagdliche Zwecke. Gesichert ist aber, dass der »Erphenbrunnen« mit dem anschließenden »Erphenbuch« einer von mehreren markanten Grenzpunkten war, mit deren Hilfe das Kloster seinen Territorialbesitz wie in fränkischer Zeit üblich - dokumentierte und verteidigte Grenzsteine kannte man noch nicht. Quellen, Bäche, Flüsse, Täler und Berge waren bevorzugte Grenzmarken in jener Frühzeit, vor allem noch durch mündliche Überlieferung und Tradierung des Wissens über den Verlauf der Grenzen untermauert. Der klösterliche Waldbesitz hatte also einen stattlichen Umfang (fast 9000 Hektar).

[Hier gebe ich nur ein Kommentar ab: Die Neustadter Klostermark war tatsächlich noch viel größer. Die Informationen finden sie im Buch „Vom Keltenheiligtum zum fränkischen Missionskloster“].

Bachquellen wie der Erphenbrunnen waren in diesem System bevorzugte Grenzpunkte, da sich Quellaustritte über die Jahrhunderte kaum verändern oder nicht wie Grenzbäume absterben können.

Das Grenzstück Lachberg - Erphenbrunnen - Neustädter Tor war, anders als etwa die Neustädter Westgrenze, in der über 1200-Jährigen Geschichte nie umstritten. Es existiert noch heute, ist - wohl seit dem 15. Jahrhundert - sogar noch durchgängig versteint, streckenweise sogar noch zusätzlich durch uralte Lagersteine markiert, die durch jahrhundertelang unter Moos und Erde verdeckte Kreuze gekennzeichnet sind und von den eingangs genannten Lohrer Forschern wieder entdeckt wurden (Lohrer Echo, 15 3. 2002).

Der Name Erphenbrunnen ist in den Spessartkarten vergangener Jahrhunderte eingezeichnet und in allen Abschriften der Klosterwaldbeschreibung und in sonstigen Dokumenten aufgeführt. Wenn er auch in den verschiedenen Abschriften, Karten, und Dokumenten und im Volksmund unterschiedlich genannt und geschrieben wird Erphenbrunnen, Erfenbrunnen, Erffenbrunnen, Erpffenbrunnen (Bild 3), ArfeBrunne, Erfenruh, Arferuu, Ruhbrunnen, so gehen doch alle Bezeichnungen zurück auf den gleichen Ursprung, den Erphenbrunnen des 8. Jahrhunderts. In einer Karte des Jahres 1848 heißt der Erphenbrunnen erstmals »Ruhbrunnen«, in einer Karte von 1859 ein letztes Mal »Erfenbrunnen«.

[Bei der ersten Landvermessung in Bayern im Jahre 1843 wurde er aus Unwissenheit in Ruhbrunnen umgetauft].

Schon 1914 schrieb der ehemalige Lohrer Gymnasialprofessor Joseph Schnetz in seiner »Älteren Geschichte von Neustadt am Main«, Erfenbrunnen sei eine Bezeichnung aus alter Zeit. Dies glaubt man gerne, wenn man sich umhört. Mit dem karolingischen »Erphenbrunnen« / »Erfenbrunnen« kann heute weithin, vor allem in der jüngeren Generation, niemand mehr etwas anfangen. Die Älteren in Neustadt am Main kennen ihn als den »Arfe-Brunne« und nennen ihn auch so. Die Jungen gehen n 'aus die Tröch. Für sie sind die erwähnten Steintröge namensbestimmend.

Und »Arferuu« nennen die älteren Rodenbacher noch heute den Brunnen, wie Rudolf Völker aus Rodenbach dem Verfasser im Dezember 2001 mitteilte, allerdings hinzufügend: warum man »Arferuu« sage und was das bedeute, könne er nicht sagen. Von Forstleuten hört man auch »Arferuu-Brunne«. Mit dem Namen »Ruhbrunnen« wissen wiederum sie nichts anzufangen.

Der Ruhbrunnen - eine Viehtränke der Rodenbacher, Wombacher und des Margarethenhofs

Rudolf Völker berichtete weiter, dass es früher an diesem Brunnen nicht nur zwei, sondern vier Steintröge gegeben habe. Großvieh, aber auch Schweine seien zur Weide in den Wald getrieben und am »Arferuu« getränkt worden. Auch die Menschen, die im Wald arbeiteten, hätten, wenn es heiß war, dort ihr Wasser geholt.

Der Brunnen war für die Bauern aus Rodenbach, Wombach und Margarethenhof über viele Jahrhunderte gleichermaßen wichtig. Aus allen Himmelsrichtungen trieb man das Vieh zur früher gängigen Waldweide in die Wälder um den Ruhbrunnen. Wir wissen sogar von Streit zwischen den Viehhirten. Das Problem war, dass er auf Klostergrund lag, dass er aber für die Klosterbauern am leichtesten über Rodenbacher und Wombacher Gemarkung erreichbar war, während die Wombacher und Rodenbacher Bauern ihr Vieh zwar über eigene Gemarkung, aber eben an das dem Kloster gehörende, also an fremdes Wasser trieben. Dies wird besonders plastisch in einem Bericht vom 25. August 1697, den Schnetz wiedergibt, beschrieben: Zwischen dem 23 und 22ten Stein brechen die Rodenbacher und Wombacher mit ihrem Vieh heraus, durch das Klosterbuch auf den Erffenbrunn. Hingegen treibt der Hofbauer vom Hof aus (Anm: Margarethenhof) durch die Rodenbacher Markung auch auf den Erffenbrunn. Wollten nun die Rodenbacher dem Hofbauern künftig den Trieb durch ihre Markung bis zum Erffenbrunn verwehren, so könnte das Kloster ihnen die Tränke im Erffenbrunnen, welcher auf Klostergrund und -boden liegt, auch verbieten, welches vor diesem auch geschehen ist, und uff solch verbieten sie den Trieb zugelassen…

Dieser Streit ist ebenso Geschichte wie der wohl immer wieder gefundene Kompromiss um die Waldweide und die Zugangsrechte zur Tränke am »Erffenbrunn«. Niemand versucht mehr, Vieh auf dem kürzesten Weg - nämlich über nachbarliche Gemeindeflur - an den eigenen Brunnen zu treiben, niemand verwehrt auch mehr den Rodenbachern oder Wombachern einen Schluck aus dieser Quelle. In nur wenigen Ställen der umliegenden Ortschaften steht überhaupt noch Vieh. Um den Ruhbrunnen ist es so ruhig geworden, wie es der Name vermuten lässt.

Wie aus dem ursprünglichen karolingischen »Erphenbrunnen« die »Erfenruh« und dann der »Ruhbrunnen« in unseren Landkarten wurde, ist nun leicht erklärbar. Für die Einheimischen war der Erphenbrunnen durch die Waldweide und Tränke zur Erfen»ruh« geworden, zu einem Ort, wo das Vieh trank und »ruhte« Und der Kartograph von 1848 hatte offenbar nicht Karten mit dem Eintrag Erphenbrunnen vor seinem Auge, sondern die mundartliche Bezeichnung »Arferuu« oder »Arferuu-Brunnen« und allenfalls das hochdeutsche Erfenruh im Ohr. »Erphen«j»Erfen« konnte ihm niemand erklären Er verstand aber, was er mit eigenen Augen sah: ruhendes Vieh, ruhende Viehhirten. Mit der Benennung »Ruhbrunnen« konnte er nichts falsch machen. Es gab überall entsprechende Ortsbezeichnungen in den Wäldern der Umgebung: die Kuhruhe und den Brunnen in der Sauruhe im Lohrer Raum, oder das Pendant, den »Ruhbrunnen«, in den Wäldern zwischen Ruppertshütten und Langenprozelten (Lohrer Echo, 2.1.2002, S. 21: Quellen im Ostspessart).

Festzuhalten bleibt jedoch vor allem. Nicht die Kartographen, die mit der Namensgebung »Ruhbrunnen« an die Waldweide anknüpften, sondern der Volksmund, d. h. die alten Neustädter und Rodenbacher, die noch überliefertes, vom Aussterben bedrohtes Wortgut nutzen, haben mit »Arfe« und »Arfe

Das geschichtliche Faszinosum

Sprach- und kulturgeschichtlich fasziniert dieses Ergebnis ebenso wie die Vorstellung, dass unsere Vorfahren schon im 8. Jahrhundert diese Quelle und den angrenzenden Wald - den »Erphenbuch« gekannt haben. Der Brunnen war ihnen also lange vor der urkundlich fassbaren Siedlungsgeschichte des Spessarts und vor dessen ersten urkundlichen Erwähnung 781 vertraut.
[Erste urkundliche Erwähnung des Erphenbrunnen ist das Jahr 772].

Mit anderen Worten: die Verhältnisse mussten schon damals vielschichtiger gewesen sein, als wir uns das heute vorstellen mögen. Es bestand mithin schon im 8. Jahrhundert die Notwendigkeit, Orte zu benennen, um sie auseinander zuhalten, zuzuordnen und abzugrenzen. Auch der Erphenbrunnen

Neustadt. Das ehemalige Benediktinerkloster wurde schon im 8. Jahrhundert an der wichtigen Wasserstraße, dem Main und einer parallel verlaufenden Reichsstraße, der »via publica«, die unter anderem nach Fulda und zur Königspfalz Salz (bei Bad Neustadt/Saale) führte, gegründet.

[Die Via puplica ging nicht entlang des östlichen Mainvierecks. Es existieren keinerlei urkundliche Belege darüber].

Und seine Umgebung mussten damals bereits für Jäger und Bauern ein so markanter Punkt gewesen sein, dass sein Gebrauch in einem Grenzdokument hinreichende Rechts- und Eigentumssicherheit zu gewährleisten vermochte: immerhin auf einer Stecke von 7 km Luftlinie, gut zwei Stunden Fußmarsch, der einzige natürliche Fixpunkt der fast mit dem Lineal gezogenen Grenze zwischen Main und Neustädter Tor.
Da im 8 Jahrhundert praktisch noch der gesamte Spessart Königswald war und damit die Besitzverhältnisse wenig differenziert, reichte diese für unsere Begriffe sehr allgemeine Grenzbestimmung aus.
Die erste zusätzliche Kennzeichnung der Grenze durch Grenzsteine wird wohl erst mit dem Erscheinen anderer Grundherrn in der Gegend, frühestens mit dem Fußfassen der Rienecker in Lohr, dann mit der Ausbildung der Gemeindewälder Lohr, Wombach und Rodenbach, vor allem aber mit der intensiven wirtschaftlichen Nutzung durch die einsetzende Waldweide und den Sandsteinabbau erforderlich geworden sein. Inzwischen war zwar längst Würzburg faktisch Besitzer Neustadts. Rechtssicherheit, die vor Grenzauseinandersetzungen bewahrte, blieb aber auch unter wechselnden Besitzverhältnissen wichtig. Es galt, Eigentumsverhältnisse im Gelände abzusichern und zu markieren.
Schon 1362 hatte man auf der Strecke Lachberg, Erphenbrunnen, Neustädter Tor urkundlich nachweisbar nachgebessert. In eine Abschrift der Neustädter KlosterwaIdbeschreibung aus diesem Jahr wurde eine zweite Quelle zur Beschreibung dieses Grenzstücks eingefügt die »fons episcopi«, die Quelle am Magarethenhof, die noch heute im Volksmund »Bischofsquelle« heißt.
Der Spessart war also nicht mehr menschenleer. Im 15. Jahrhundert dürfte, wie erwähnt, die noch heute bestehende Versteinung zwischen Lachberg und Neustädter Tor gefolgt sein.

Weist »Erphen« auf einen heidnischen Quellkult?

Was bedeutet aber »Erphen«? Der Klang scheint vertraut, bekannte Worte wie Elfen, Erlen, Erben und bei »Arve-Brunnen« wie Harfe kommen in den Sinn, doch hilft unser gängiger Wortschatz bei Erklärung des Namens nicht weiter. Auf das althochdeutsche »erpf« für braun verweist der sprachkundige Germanist. Das f/ph bzw. pf sei viel zu »verschliffen«, als dass man aus der Schreibung ph im Sinne von f, eindeutige Schlüsse auf das tatsächliche Lautbild zum Zeitpunkt der Schreibung von Erphenbrunnen ziehen könnte. Es könnte also im 8. Jahrhundert auch »Erpfenbrunnen« gemeint gewesen sein, so, wie der Brunnen in späteren Jahrhunderten bisweilen auch geschrieben wurde. Der daraus resultierende Name »Braunbrunnen« will allerdings so gar nicht zum kristallklaren Wasser des Brunnens passen.

Dass der Erphenbrunnen - den Besitzer anzeigend - nach einem fränkischen Ritter Erpho, der in Urkunden aus dem Raum Marktheidenfeld belegt ist, benannt wurde, ist die wahrscheinlichere Erklärung.

[Hier fehlt die Nennung der Urkunde, Herr Vorwerk].

Dafür spricht auch die gleiche Benennung des sich anschließenden Waldstücks mit Erphenbuch. »Erpho« war in den unterschiedlichsten Schreibweisen ein häufig belegter männlicher Name der fränkischen Zeit, der auch in anderen Teilen Deutschlands zahlreichen Ortschaften, Brunnen und anderen Orten ähnliche oder gleiche Namen gab.
Im vorliegenden Fall gab Erpho oder möglicherweise die Sippe der Erphen sogar einem kleinen Waldstück den Namen dem mehrfach genannten Erphenbuch.

Wir wissen sogar einiges über Lage und Ausmaß. In dem oben zitierten Bericht aus dem Jahr 1697 heißt es, dass sich vom Erffenbrun (Anm: beim Stein Nr. 20) bis zum 77ten Stein das Erffenbuch erstrecke. Das Waldstück hat - zwischen den genannten, noch heute existierenden Steinen Nr. 20 und 17 gelegen - eine Länge von nicht mehr als 500 m. Wenn dieses Waldstück mit einer Fläche von vielleicht 25 Hektar zusammen mit Quelle bereits im 8. Jahrhundert namentlich ausgewiesen und tatsächlich damals auch nicht wesentlich größer als 1697 beschrieben war, lässt sich dann nicht annehmen, dass uns hier das Relikt eines germanischen Hains und eines Quellkults urkundlich erhalten ist? Die Umbenennung in Erphenbuch wäre, falls diese Annahme zutrifft, bereits Programm: Man versuchte, durch Umbenennung dem Aberglauben den Garaus zu machen. Jedenfalls ist in einem riesigen Waldgebiet des 8. Jahrhunderts die gesonderte Benennung einer winzigen Waldparzelle auffällig. Ein heidnischer Quellkult wird bekanntlich auch beim nahen Margarethenhof und dem dortigen »Bischofsbrunnen« vermutet. Experten sollten bei dieser Frage das letzte Wort haben.

Ein Wort an die zuständige Forstverwaltung

Gewiss wäre es hilfreich, ein erläuterndes Namensschild am Ruh- bzw Erphenbrunnen vorzusehen. Der Brunnen ist nicht nur Teil einer herrlichen Waldlandschaft und Bestandteil der frühesten Klostergeschichte Neustadts. Er könnte auch Teil der frühesten Forst- und möglicherweise Jagdgeschichte unseres Raums sein. Selbst wenn der Erphenbrunnen kein Rast- und Ruheort für Karl den Großen und Rorinlacha keine karolingische Jagdbleibe gewesen sein sollte, so könnte doch auf die Zusammenhänge mit Kloster Neustadt hingewiesen werden sowie darauf, dass der historische Namen des Brunnens sogar schon vor der ersten Erwähnung des Spessarts schriftlich fixiert war und möglicherweise mit dem angrenzenden Erphenbuch doch noch Rätsel aufgibt, die zu lösen bleiben. Die historische Dimension dieses Waldbrunnens sollte jedenfalls mit diesen Zeilen auch einer größeren Leserschaft bewusst gemacht werden.

Ein kurzer Exkurs an dieser Stelle soll den komplizierten Weg der Grenzbeschreibung aufzeigen:
Die im Aufsatz erwähnte Schutzurkunde Karls des Großen aus 780/781 ist verloren gegangen, damit auch die vermutlich originale erste Grenzbeschreibung.
Verloren gegangen sein muss auch eine Neustädter Klosterwaldbeschreibung, die aus einer Zeit nach den Jahren 780/781, aber von vor 839 stammt. Alle heute bekannten Texte der Neustädter Grenzbeschreibung gehen auf diesen Text zurück.

[Ich empfehle allen einmal den 106-seitigen Artikel „Zur Neustadter Privilegienfrage“ von Heinrich Wagner intensiv zu lesen. Dann kann man die Aussagen von Wolfgang Vorwerk besser bewerten].

Den Beweis hierfür liefert eine Urkunde aus dem Jahre 839, die ebenfalls verloren, aber in einer vertrauenswürdigen Abschrift aus dem 12 Jahrhundert erhalten ist.

[Die Abschrift der Urkunde von 839, ist laut Wolfgang Vorwerk, vertrauenswürdig. Die Abschrift der Urkunde der Neustadter Klostermark, laut Wolfgang Vorwerk, nicht vertrauenswürdig].

Diese Urkunde beschreibt ein Gebiet im Südostspessart, welches das Kloster Fulda 839 erworben hat. Diese Grenzbeschreibung bezieht sich in ihrem Text - konkret bei Altfeld - expressis verbis auf die Mark des Klosters Neustadt, mit der Fulda offenbar eine gemeinsame Grenze hatte und setzt dies als bekannt voraus.
Die für uns wichtigste Urkunde stammt ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert, wohl um 1170 Es ist die so genannte Stiftungsurkunde, auch als »Gründungsprivileg« des Klosters Neustadt bekannt. Sie ist die eigentliche Quelle für den kompletten Territorialbestand des Klosters.

Diese Urkunde ist zwar im 16 Jahrhundert ebenfalls verloren gegangen, Jedoch in zahlreichen Abschriften erhalten u. a. aus den Jahren 1279, 1362 (siehe Bild 3), 1366 und 1537 sowie undatierbar aus dem 15. Jahrhundert.
Die Stiftungsurkunde ist zwar erwiesenermaßen eine relativ plumpe Fälschung. Ihr Zweck war, die verloren gegangene Schutzurkunde Karls des Großen von 7801 781 durch einen auf 794 datierten Text zu ersetzen und vor allem gegenüber den Würzburger Bischöfen zu dokumentieren, dass Kar! der Große persönlich das Kloster gegründet und unter Reichsschutz gestellt, Würzburg also keine Ansprüche hat.
Der Fälscher der Stiftungsurkunde muss jedoch die darin enthaltene Grenzbeschreibung des Neustädter Klosterwaids, damit auch die dort aufgeführten Namen »Erphenbrunnen« und »Erphenbuch« aus der verloren gegangenen Beschreibung der Klostermark Neustadt von vor 839 wortgetreu abgeschrieben haben. Die althochdeutschen Elemente in den aufgeführten Flurnamen sind ein Beleg. Vor allem aber gibt es über eine Strecke von fast 20 km Identität der beschriebenen Grenze vom Geiersberg im Hochspessart bis Altfeld/Triefenstein am Main mit der echten 883ger Urkunde. Letztere enthält nicht nur einen Bezug auf die Neustädter Grenze, sondern weit mehr.

[Ich empfehle allen einmal den 106-seitigen Artikel „Zur Neustadter Privilegienfrage“ von Heinrich Wagner intensiv zu lesen. Dann kann man die Aussagen von Wolfgang Vorwerk besser bewerten].



Quellen:
Außer den im Text zitierten Schnetz und Schönmann,
Reinhard Bauer, Die ältesten Grenzbeschreibungen in Bayern, München 1988,
Wolfgang Vorwerk, Historische Spurensuche, Schriften des Geschichts- und Museumsvereins Lohr am Main, Lohr, 2000.

Bildnachweis:
Bild 1: Hans Ruster;
Bild 3: StA Würzburg, Kaiserselekt 827;
Bilder 2, 4 und 5: Dr. Wolfgang Vorwerk.


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